Erinnerungskultur Stadt Leuna
Der Begriff Erinnerungskultur beinhaltet zwei sich verbindende Begriffe und bezeichnet den Umgang einer Persönlichkeit und/oder der Gesellschaft mit deren Vergangenheit und ihren geschichtlichen Zusammenhängen. Erinnerungskulturen sind in den historischen und kulturellen Ausprägungen von kollektivem Gedächtnis veränderlich und spiegeln den jeweiligen Zeitgeist wider, der stark von der Methode der Geschichtsbetrachtung abhängt. Die ist beim Einzelnen stark vom subjektiven Erlebnis und dessen Wertung und gesellschaftlich von aktuellen Ideologien geprägt. Hierbei kann ein und dasselbe historische Ereignis zeitgleich oder nach Jahren sehr unterschiedlich interpretiert werden. Der Blick auf historische Ereignisse und der Umgang mit ihnen unterliegt somit einem ständigen Wandel, womit sich nicht nur die Kultur des Erinnerns, sondern auch die Kultur einer Gesellschaft verändern. Wie sich Standpunkte im Laufe eines Menschenlebens ändern, so sind sie zum Teil auch im Laufe einer gesellschaftlichen Entwicklung variabel.
Unabhängig von der persönlichen Sicht auf Ereignisse oder deren politische Interpretation gibt es jedoch geschichtliche Tatbestände, die eindeutig sind und ideologisch nicht verdreht oder umgedeutet werden können: Das betrifft z.B. den Umgang mit der Achtung vor dem Leben und der Würde eines jeden Menschen auf dieser Welt. Die Nürnberger Prozesse haben 1945-49 dazu globale, allgemeine und völkerrechtlich verbindliche Normen postuliert. Anlass waren die Verbrechen des Naziregimes an der Menschheit; diese Verbrechen haben sich auch in unserer Region Leuna ereignet. Beispiele sind die Arbeitserziehungslager in der Region, wo Menschen anderer Nationen und Kulturen zu Arbeitssklaven degradiert wurden, deren Tod viel weniger bedeutend war, als der des Wachhundes in den Lagern.
Solche Geschehnisse in Erinnerung zu behalten, die Ereignisse und deren Zusammenhänge, die Täter und Opfer mit ihren Namen und Biografien nicht zu vergessen, sondern an nachfolgende Generationen informativ weiterzugeben – dazu dient Erinnerungskultur. Sie hat nichts mit der Übernahme von Schuld von Nachgeborenen, sondern mit der Übernahme von Verantwortung zu tun. Die Aufarbeitung der Geschichte von Leuna in der NS-Zeit im Zusammenhang zur globalen deutschen Geschichte und deren Popularisierung ist darum wichtige Aufgabe und Anliegen.
Jörg Mantzsch, Historiker